Projektstart im Michaelishospiz
Unser Gesamtprojekt Einsam oder Gemeinsam hat in der letzten Woche nun auch ganz offiziell seinen Anfang gefunden. Während der Pressekonferenz im neu-eröffneten Michaelishospiz in Hildesheim konnten wir der breiten Öffentlichkeit von unseren verschiedenen Projekten erzählen.
Zusammen suchen wir mit kulturellen und literarischen Mitteln neue Wege aus der Einsamkeit. Zielgruppe sind Menschen aller Generationen, junge und ältere genauso wie Menschen mit Migrationshintergrund, dafür arbeiten wir u.a. mit der Brücke der Kulturen, dem Hospiz Hildesheim, Caritas Wohnen und den AWO-Stadtteil-Müttern in Hildesheim zusammen.
Das zivilisatorisch verdrängte Thema der Einsamkeit, diesen großen blinden Fleck in unserem gesellschaftlichen Miteinander, rücken wir mit diesem Kulturformat in den Fokus und geben einsamen Menschen unterschiedlicher Generationen die Möglichkeit einen Ausdruck und damit eine Transformation für ihren Gemütszustand zu finden.
Das Phänomen der Einsamkeit ist in unserer modernen Gesellschaft das mit Abstand größte Gesundheitsrisiko, größer inzwischen als alle anderen Risiken zusammen. Und das nicht nur bei älteren sondern inzwischen auch bei vielen jungen Menschen.
Idee und Inspiration
Albert Camus beschreibt in seiner Novelle „Jonas“ einen Maler, der als letztes Werk eine leere weiße Leinwand mit einem einzigen Wort hinterlässt. Dieses Wort hat er allerdings so unleserlich gekritzelt, dass man nicht entziffern kann, heißt es solitaire (für sich) oder solidaire (miteinander)?
Die höchste Form der Hoffnung ist die überwundene Verzweiflung! schreibt Camus in einem seiner Romane. Diese Hoffnung wollen wir mit verschiedenen Maßnahmen der Partizipation und des konkreten schöpferischen Tuns wecken!
Dem Zeitgeist zum Trotz
In der digitalen Welt nimmt die Bindungsfähigkeit deutlich ab. Damit wächst für viele Menschen das Gefühl der Einsamkeit und Isolation. Der ständige Zwang zur Selbst-darstellung führt zu Selbstverleugnung.
Der „Homo Digitalis“ hat in den sozialen Netzwerken vielleicht viele Follower, aber oft keinen einzigen Menschen, dem er sich wirklich zeigen und mit dem er oder sie sich austauschen kann. Auch hier wollen wir mit diesem Kulturprojekt ansetzen und mit den Teilnehmern oder besser gesagt den Protagonisten ihres eigenen Lebens Wege aus der Einsamkeit suchen.
Emanzipation und Partizipation
Gerade bei Menschen, die sich einsam fühlen, gilt es der oft empfundenen Ohnmacht und gelernten Hilflosigkeit entgegenzuwirken.
Wir setzen auf maßgeschneiderte Angebote, die auf die persönlichen Bedürfnisse der Teilnehmer und Teilnehmerinnen eingehen. Sie sollen sich wahrgenommen fühlen. Wir geben Impulse und schaffen einen Raum, in dem sie ihre Geschichten erzählen und mit anderen teilen können.
Dabei kommt es nicht darauf an, irgendwelchen formalen oder inhaltlichen Vorgaben zu genügen, sondern überhaupt erst mal eine Sprache für die eigene Innenwelt zu finden und damit ein Moment der Selbstwirksamkeit zu erleben.
Sprache ist immer auch Ausdruck der Verschiedenheit des Denkens und jede hierfür gebrauchte Form wirkt gleichsam wie ein Fenster in eine andere Welt: Was du bei dir behältst, zerstört dich, was du auszudrücken verstehst, errettet dich!





Welche Formate kommen zum Tragen
- Erzählworkshops und biografischen Schreiben für Gruppen von 3 bis 9 Personen: Dabei nähern wir uns mit Liedern und Gedichten z.B. den Menschen im Hospiz und an weiteren Orten wie Senioreneinrichtungen, Brücke der Kulturen, AWO-Stadtteilmütter in der Nordstadt (Leitung hier Christine Raudies), Caritas Wohnen (Eike Bredemeyer und Rachel Bleiber)
- Die Podcast-Interviews: Viele Menschen haben etwas zu erzählen, aber niemanden, der ihnen aufrichtig zuhört. Diese Menschen wollen wir aufsuchen. Wir führen biografische Interviews in Seniorenheimen, in der Vinzenzpforte, im Hospiz. Wir sprechen mit alten und mit jungen Menschen, mit Menschen mit und ohne Migrationsgeschichte – und fragen sie nach ihren Lebensthemen.
- Die Junge Hildesheimer Schreibschule als digitales Format für junge Leute von 14 bis 27: Fast die Hälfte der 16- bis 30-Jährigen gibt an, einsam zu sein, wie eine Umfrage der Bertelsmann Stiftung ergab. Wie mag es nun bei denjenigen aussehen, die gerne schreiben? Schreiben ist ein einsamer Prozess. Wir tun es gemeinsam.
Überregionales Interesse für das Projekt
Sogar die Landesvereinigung für Gesundheit und Sozialmedizin Niedersachsen-Bremen zeigt großes Interesse an diesem Projekt und hat uns eingeladen, auf ihrem diesjährigen Fachkongress in Oldenburg dieses ungewöhnliche Kulturformat vorzustellen. Darüber hinaus haben sie mich gebeten in der bundesweiten erscheinenden Fachzeitschrift „Impulse für Gesundheitsförderung“ einen Leitartikel darüber zu schreiben.
Es zeigt eine neue Relevanz von Kultur und wie stark solche Projekte in andere Bereiche wie den Gesundheitsbereich hineinwirken. Und unser Projekt in Hildesheim ist dafür ein wunderbares Referenzbeispiel.