Ein Kommentar von Jo Köhler – gegen Menschenfeindlichkeit und wider jede innere Abspaltung
Manchmal frage ich mich, ob sich die Ereignisse überhaupt noch ereignen oder nur noch die Klischees und Gegenklischees, über die alle Welt spricht, medial ereignen. Egal, ich finde es wunderbar, dass so viele Menschen an so vielen Orten zusammenkommen, um Flagge zu zeigen und ein Bekenntnis abzugeben.
Für Respekt und Empathie, Achtsamkeit und Offenheit (Fairness) gegenüber jeder Frau, jedem Mann und jedem Kind, ganz gleich welcher Hautfarbe, welcher Religion und Herkunft auch immer. Das Gute kommt nicht lauthals, nicht grölend mit billigen Parolen im Krawallmodus daher, sondern eher leise, behutsam und friedfertig.
Andernfalls wären solche Demonstrationen und unsere Sorge für das Gemeinwesen nur wie eine ins Nichts führende Leiter, die sich nirgendwo anlehnen kann. Deshalb bin ich dankbar, in einem Land leben zu dürfen, in dem die Würde eines jeden Menschen als besonders schützenswertes Gut über allen anderen Gütern steht.
Der brasilianische Dichter Paulo Coelho nennt die Menschen, die sich ein Herz fassen und ihre innere Angst überwinden, sich dem eigenen Schatten stellen und ihn als gegeben annehmen! Krieger des Lichtes sind Menschen, die sich nicht bloß gemein machen, nicht bloß mitlaufen, sondern ihren eigenen Weg gehen und es auch dann tun, wenn sie damit scheitern können!
Krieger des Lichtes sind keine Übermenschen, keine Drachentöter, keine Supermänner oder Superfrauen, sondern hin- und hergerissen, unsicher und verletzlich und gerade dadurch erst besonders mutig und tapfer!
Deshalb ist wichtig, so offen wie möglich zusammenzukommen und sich der Krieger des Lichtes – der namhaften und vor allem der ungezählten namenlosen zu erinnern, die wir schon zu früheren Zeiten hatten und auf deren Schultern wir hier und heute stehen.
Zivilcourage
Mal nicht wie ein Löwe
mit anderen Löwen um die Vorherrschaft kämpfenMal nicht wie ein Schachspieler im Kampf der Interessen
in neunmalklugen Zügen strategisch vorausdenkenMal nicht jedes Wort, bevor man es ausspricht
ängstlich vor und zurückwiegenMal nicht nach den Schwächen des anderen suchen
um die eigene Stärke demonstrieren zu könnenMal nicht vor der Wahrheit des anderen zurückweichen
Jo Köhler
um den eigenen Irrtum nicht erkennen zu müssen
Umso kümmerlicher erscheint es mir, dass immer größere Teile unserer Gesellschaft für den Roman ihrer Angst Figuren des Fremden zeichnen, als wären diese keine Menschen, keine Artgenossen, sondern angstmachende Wesen, auf welche man die eigene Angst projizieren kann, um sie so besser bekämpfen zu können. Es ist traurig, wenn man nur durch die Erniedrigung eines anderen sich selber stark und mächtig fühlen kann.
Sobald ich mich nur anschließe, ganz gleich welcher Seite, nicht mehr mitdenke, sondern nur noch mitlaufe, kommen mir all die hehren Worte plötzlich leer und phrasenhaft vor: wie der hilflose Reflex eines Menschen zwischen den Fronten, der auf der richtigen Seite zu stehen versucht. Dabei wollte ich anfangs einen neuen Gedanken denken. Einen, der nicht sofort in einem der Abgründe unseres politischen links-rechts Schemas einrastet.
Ausrastet.
Sobald wir die Fragen – die Themen, die uns bewegen, auch anfangen zu leben, wachsen wir in die Antworten hinein. Es geht gar nicht anders.
Sisyphos der Götterheld, der dazu verurteilt war, ein und denselben Felsbrocken immer wieder den Berg hinauf zu rollen, soll die Götter schließlich darum gebeten haben: Bitte lasst mir den Stein! als wäre die damit verbundene Mühsal längst sein Lebenselixier.
Wünschen wir uns genau wie Sisyphos die Geduld und die Zuversicht, die eine freie und humanitäre Gesellschaft braucht, um den Stein der Erkenntnis jeden Tag aufs Neue – mit jeder Generation aufs Neue den Berg der Weisheit hinauf zu bugsieren.